Chefchaouen die Zweite

Möchte man marokkanische Straßenbaukunst einmal live erleben, so befahre man die Hauptroute entlang der Mittelmeerküste zwischen Al Hoceima und Tetouan vorzugsweise nach Einbruch der Dunkelheit. Was im Reiseführer noch als löchrige, enge Teerstraße in schlechtem Zustand beschrieben wird (schreckt uns schon lang nicht mehr), entpuppt sich als etwa 80km lange Baustelle, Unbehagen inklusive. Alle paar Kilometer sind Bagger, Planierraupe und Co. im Einsatz, dazwischen Schotter und Schlamm. Umfahrungen gibt es mangels Platz nicht, ebenso wenig wie Beleuchtung, Fahrbahnmarkierungen oder Befestigungen der Abhänge. Wir drängen uns also mit den Horden Baustellen-LKW, die Sand, Steine oder Stahl zwischen den Abschnitten transportieren, auf den paar Metern zwischen Fels und Abgrund, gerne auch im Gegenverkehr. Irgendwann hat Hannes keinen Bock mehr und hält in einer Nische, die gerade nicht bearbeitet wird. Ja, die Felswand direkt neben uns wirkt hier auch nicht ganz so brüchig wie anderswo. Der ideale Schlafplatz also. Was ich nicht verschweigen will: die Abschnitte der Mittelmeerküste, in denen nicht gebaut wird, sind so schön, daß wir uns sogar an die Lofoten erinnert fühlen.

Am nächsten Morgen können wir dann wieder einen marokkanischen Klassiker beobachten: Frauen schleppen gigantische Reisigbündel auf ihren Rücken einen mindestens 200 m hohen steilen Berg hinunter, beobachtet von Zigarette rauchenden Männern, die lässig am Fels lehnen. Davon haben wir langsam echt genug.

Wir halten in einem kleinen Ort direkt am Strand, um in etwas angenehmerer Umgebung den täglichen Unterricht zu absolvieren. Auch einige reiche Städter kennen den Platz. Neben uns parken Autos in der entsprechenden Preiskategorie. Plötzlich kommt Trubel auf. Eine Gruppe Jugendlicher jagt einen Hund durchs ganze Dorf. Sie werfen Steine nach ihm, sind dann schon fast außer Sichtweite. Da hören wir mit einem Mal ein erbärmliches Jaulen. Lasse ruft: „Die schlagen ihn mit `nem großen Ast!“ Es dauert noch eine Weile, bis endlich Stille eintritt. Hannes unterhält sich mit einem jungen Mann, der neben uns parkt. Der Hund hat wohl ein paar Schafe gerissen. Deshalb hat der Bauer >um Hilfe gebeten<. Uns erscheint das ganze äußerst brachial. Er zuckt nur mit den Schultern. „Klar gäbe es bessere Möglichkeiten, aber das passiert halt, wenn die Leute keine Bildung haben und nicht wissen, was richtig und was falsch ist.“

Die restlichen 100 km nach Chefchaouen fahren wir durch die angenehm grüne Landschaft des Rifgebirges. Es hat stark geregnet und ist für diese Jahreszeit verhältnismäßig kalt. In den oberen Lagen hat es in der Nacht sogar geschneit. Wir nehmen einen frierenden Gemüsebauern mit in die Stadt. Auf Nachfrage handelt es sich in diesem Fall um ein etwas sonderbares Gemüse: Haschisch, selbstverständlich beste Qualität – meint er.

Wir verbringen eine sehr entspannte Woche in Chefchaouen, das uns schon vom ersten Besuch am Anfang unserer Marokko-Reise als hübsch und gemütlich in Erinnerung war – umso mehr jetzt, da wir wissen, wie es anderswo läuft. Im Hammam, das traditionell nach Geschlechtern getrennt ist, aber auch als Familie gebucht werden kann, weichen wir zwei Stunden ein und schrubben uns den Dreck von drei Monaten von der Haut – erschreckend, was da so zusammenkommt! Unsere Schranktüren lassen wir uns wie geplant im andalusisch-arabischen Stil von Said in seiner winzigen Werkstatt bemalen. Und weil er so faire Preise hat, bekommt die Klo-Ecke noch `nen neuen Spiegel und die Wand über dem Herd ein paar Fliesen. Wenn wir wieder zuhause sind, wird der Innenausbau wohl fertig sein.

Beim Abendessen treffen wir Justin, Jessica und Isabella wieder und stellen fest, daß sie auch schon seit drei Tagen in der Stadt sind. Ihre Visa sind wie unsere nur noch wenige Tage gültig, doch im Gegensatz zu uns wollen sie nach dem Grenzübertritt versuchen, erneut für 90 Tage nach Marokko einzureisen. Also fahren wir gemeinsam an die Grenze zur spanischen Enklave Ceuta. Die Grenzbeamten klopfen hinten im Koffer sämtliche Hohlräume ab – als ob man am Klang erkennen könne, ob dahinter Drogen versteckt sind, naja. Immerhin müssen wir die Wandverkleidung nicht abschrauben. Kurzer Blick ins Podest: ah, die Schmutzwäsche. Dann will er in die Sitzbank gucken. Der schlafende Matti muß aus dem Sitz und fängt natürlich zu jaulen an. Da bekommt der Typ ein schlechtes Gewissen und geht raus. Nachdem draußen noch einer ergebnislos in unserem Dieseltank gerührt hat, ist man endlich überzeugt, daß wir uns im Rifgebirge nicht mit Haschisch eingedeckt haben. Wir dürfen weiterfahren und sind so plötzlich wieder in Europa, daß wir es gar nicht richtig realisieren. Selbst die Fährfahrt über die Straße von Gibraltar am nächsten Tag dauert nur eine halbe Stunde. Die einzig spürbare Veränderung für mich: ich laufe im ärmellosen Shirt ohne Tuch drüber und keinen juckt`s.

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