die erste Piste – das erste Foto

Von Tafraoute aus durchfahren wir sozusagen als Rundhauberkolonne die Ait-Mansour-Schlucht. Die Einwohner staunen nicht schlecht über uns. Wir sind vor allem von der Landschaft mal wieder gefesselt. Eben noch haben wir eine karge und steinige Bergkette überquert – Matti hat in den Serpentinen gleich mal gekotzt, obwohl er schon einen privilegierten Vorwärts-Sitz innehat – und plötzlich finden wir uns in einem Djungel aus Palmen wieder. Kurz hinter dem Tal verlassen wir den Asphalt und befahren unsere erste richtige Piste. Sie verläuft entlang bzw. teilweise durch das steinige Flussbett des Oued Tazougart. Der Fluss führt nur nach starken Regenfällen Wasser, seit Monaten also gar keines. Uns umgibt eine Welt aus Steinen. lebensfeindlich und schön zugleich. Die Feuerwehr rumpelt und hoppelt mächtig, hinten fliegt alles durcheinander. Die Jungs finden`s natürlich cool.


Hier gibt es Felsgravuren, die mehrere tausend Jahre alt sind. Aufgrund der schweren Zugänglichkeit sind sie weder geschützt noch touristisch genutzt. Auf dem Weg dahin fahren wir an einer staunenden Familie vorbei. Wie und wovon leben die hier? Etwas später, schon kurz vor den Felsgravuren, ruft uns dann noch eine junge Frau völlig allein in dieser Steinwüste ein „bonjour“ zu. Als wir den Felsen mit den Gravuren erreichen, müssen wir erstmal suchen, doch dann finden wir doch ein paar. Im Gegensatz zu anderen (fragwürdigen) historischen Funden in dieser Gegend, wird ihre Echtheit wohl nicht angezweifelt. Na, auf uns wirken sie authentisch. Die Anfahrt war mühsam genug.

Als wir zur Weiterfahrt aufbrechen wollen, hat uns die junge Frau eingeholt. Sie geht im Bogen um uns herum, traut sich nur auf ein paar Meter ran und beäugt uns mit einer Mischung aus Neugierde und Irritation. Als Hannes aussteigt, kriegt sie erstmal einen Schreck und geht ein paar Schritte rückwärts. Ich mache heimlich ein Foto aus dem Fenster. Dann nimmt sie das Obst, das wir ihr schenken wollen, aber doch und kurz darauf auch ein Glas Wasser. Das hat sie echt in Rekordzeit ausgetrunken. Von Rainer ist sie auch ziemlich fasziniert. Der hat `nen langen Zopf und ist fast zwei Meter groß. Die Verständigung ist ziemlich schwierig. „Bonjour“ hat sie wohl mal irgendwo aufgeschnappt. Ich hole den Reiseführer, da stehen hinten ein paar arabische Floskeln drin. Sie versteht auch davon scheinbar kein Wort. Vielleicht ist sie Berber? Ich halte ihr die Schriftzeichen hin, aber wahrscheinlich hat sie nie lesen gelernt. Da greift sie nach dem Buch, ist total erstaunt. Ich blättere ein bißchen, sie verfällt in wahre Verzückung. Die Fotos haben es ihr angetan. Eine Tajine ist abgebildet. „Tajine!“, dazu Gekicher. Ich zeige ihr ein Bild von Marrakech. Die Augen werden immer größer. Dann eines von einem Laden in Tafraoute. Kennt sie wohl, ist schließlich der nächstgelegene größere Ort. Vom Buch kann sie sich gar nicht mehr lösen. Irgendwann ringen wir uns durch und fragen: „Foto?“ Hat sie es nun verstanden oder nicht? Auf jeden Fall wiederholt sie das Wort und nickt freundlich. Hannes holt die Kamera und knipst. Scheint sie auch zu kennen. Aber dann zeigt ihr Hannes das Bild auf dem Display. Das haut sie völlig aus den Socken. Ein Tumult aus Emotionen scheint sich in ihr abzuspielen. Ein Quietschen, dann ein Lachen. Dann dreht sie sich weg, versteckt das Gesicht hinter ihrem Kopftuch, als würde sie sich schämen. Jetzt will sie wieder gucken, stellt sich ganz dicht zu Hannes. Der zoomt sie auf dem Foto noch ran. Da lacht sie wieder laut los, guckt uns alle an, zeigt auf sich selbst. Gekicher und Verstecken hinterm Schleier wechseln sich noch ein paar Mal mit der Fotoinspektion ab, bis sie sich halbwegs beruhigt hat. Diese junge Frau hat noch nie ein Foto von sich selbst gesehen. Wir schätzen sie auf etwa zwanzig, doch in diesem Moment wirkt sie wie ein kleines Kind, vergnügt, neugierig und unschuldig. Aber was machen wir jetzt mit dem Reiseführer, den brauchen wir doch noch. Hannes durchwühlt die Feuerwehr nach einem Buch mit Fotos, aber wir haben sonst nur Lese- oder Bilderbücher. Schließlich bringt er ein „Lustiges Taschenbuch“ (Micky, Donald und Co.). Findet sie auch toll. Ich versuche ihr zu erklären, daß wir das andere noch benötigen, sie das Comic aber behalten kann. Sie guckt erst fragend, scheint dann aber zu verstehen und ist schließlich ganz aus dem Häuschen. Sie drückt und küsst mich, grinst vom einen Ohr zum anderen. Ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll. Was wir geben steht in keinem Verhältnis zu ihrer Dankbarkeit. Schließlich brechen wir auf und sie läuft in die entgegengesetzte Richtung davon und winkt noch ein paar Mal. Ein Stück entfernt entdecken wir einen winzigen Verschlag aus Stein, wahrscheinlich ihr zuhause.

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