Die Sahara besteht nur zu einem geringen Anteil aus Sand. Haben wir vorher nicht gewußt – jetzt schon. Kilometer um Kilometer zieht sich die Piste durch eine nicht enden wollende Steinwüste. Mal kurvig, mal schnurgerade, auf einer weiten Ebene, dann wieder bergauf und bergab – aber Steine, Steine, Steine. Was für uns langweilig ist, ist für die Kinder eine Zumutung. Stundenlanges Fahren. In den Dünen war hinten Party, da mußten sie sich nicht anschnallen. Hier erscheint uns das doch zu gefährlich. Die ganze Karre wackelt so sehr, daß Lasse und Bennet nicht mal mehr lesen können. Auch im Koffer gibt es Verluste. Eine Zusammenfassung: die Bücher lösen sich vom vielen Runterkrachen (trotz Gurt) aus ihren Einbänden, vier Tassen gehen zu Bruch, drei Liter Milch und eine Flasche Cola laufen aus, die Schraubdeckel von den umgekippten Marmeladengläsern lösen sich (was sich daraus ergibt, ist ja klar), ein Einlegeboden kracht durch (keine Folgeschäden außer Chaos im Schrank), die Verkleidung der Heizung wird zerlegt (okay, war Plastik) und der Behälter für die Scheibenwischerflüssigkeit jackelt sich ab und verschwindet auf Nimmerwiedersehen – merken wir natürlich erst bei verschmutzungsbedingt stark eingeschränkter Sicht. Nur gut zu wissen, was man unserer alten Feuerwehr alles zutrauen kann. Ist eben ein LKW, aber der wird nächstes Jahr auch schon 40.
Inmitten dieser Einöde fragen wir uns wieder, woher eigentlich die Leute hier kommen. Als wir zur Nacht parken, kommen aus dem Nichts zwei Jungs, setzen sich neben die Laster und beobachten uns einfach. Nach ein paar Minuten eilt der Vater herbei. Wir denken erst, er holt sie ab. Aber nein, er setzt sich dazu. Es folgen noch die Mutter und die Oma mit weiteren Geschwistern, bis sich die achtköpfige Familie vollzählig eingefunden hat. Hat ein bißchen was von Zirkus, mit uns in der Manege. Letztendlich sind sie aber nur neugierig und bei Einbruch der Dunkelheit wieder verschwunden. Am nächsten Tag stehen entlang der Piste im absoluten Nirgendwo immer wieder Kinder, wollen Ketten verkaufen oder einfach nur Süßes oder Wasser. Automatisch haben wir Mitleid und ein schlechtes Gefühl dabei, einfach weiter zu fahren. Doch hier kommen häufig genug Touristen vorbei, daß es sich lohnt, die Kleinen kilometerweit hier rauszuschaffen, am Straßenrand abzustellen und abends wieder abzuholen. Die Eltern schicken sie zum Betteln anstatt in die Schule.
Irgendwann verändert sich die Landschaft wieder, der Untergrund wird leicht sandig, in der Ferne tauchen ein paar kleine Dünen auf. Wir nähern uns dem Zeitsee Lac Maider. Außer in sehr regenreichen Jahren ist er nur eine Schwemmtonebene, die man leicht und schnell durchfahren kann. Und geregnet hat es hier seit Jahren nicht mehr richtig. Vor zwei Monaten erst sind Ulli und Elli hier gewesen. Da plötzlich, die kleine Ortschaft am anderen Ende ist schon zu sehen: Wasser mit blühenden Blumen darin. Wir freuen uns. Ein kleines Wunder in der Wüste. Dann kommen die Einheimischen angelaufen. Eine Passage ist nach ihrer Auskunft unmöglich. Seit Tagen seien von der anderen Seite keine Touristen mehr angekommen. Wir sind skeptisch. Sagen die das jetzt, damit wir bei ihnen übernachten? Ein ortskundiger Guide kommt vorbei. Es gebe da eine Möglichkeit, aber die ist schwer zu finden. Er führt uns für umgerechnet 110 Euro. Die Skepsis wächst. Rainer hat auf seinem GPS noch eine weitere Piste. Wir wollen es am nächsten Tag selbst versuchen.
Wir kommen zunächst einige Kilometer weit, die als unpassierbar beschriebene Piste ist gut zu befahren. Doch irgendwann bricht sie einfach ab, und quer zur Fahrtrichtung fließt ein schlammiger Fluß dahin. Na klar! Jetzt, da wir das seit Jahren trockene Flußbett durchfahren wollen, gibt es hier Wasser im Überfluß. Die Männer ziehen los, um eine flache Stelle zu suchen, die wir durchfahren können. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen zwei Jeeps ähnlich ratlos herum. In der Zwischenzeit taucht mal wieder ein Ortskundiger auf, der die einzig mögliche und sehr schwer zu findende Passage kennt – für nur 40 Euro will er uns führen … Non, merci! Suchen wir lieber selbst. Und natürlich finden wir sie etwa eine Stunde flußaufwärts und kommen gut ans andere Ufer. Das schwierigste Unterfangen wird dann, mich mitsamt Fotoapparat und Videokamera durch den Schlamm rüberzubugsieren. Wir sind ganz stolz auf unser gelungenes Offroad-Abenteuer. Und in dieser Gegend ist die Landschaft wieder hinreißend schön. Dromedare ziehen gemächlich vorüber. Der Wüstensand ist mal steinhart und mit einer Salzschicht überzogen, mal türmt er sich zu orangefarbenen Dünen auf.
Bei einer winzigen Oase essen wir superleckere Tajine und treffen auf eine Gruppe Spanier, die hier zum Gleitschirmfliegen oder ähnlichem hergekommen sind. Wir wundern uns erst, wieso sämtliche marokkanischen Männer wie die Hühner auf der Stange am Rand sitzen und Stielaugen machen. Dann sehen wir eine der Spanierinnen in Hotpants und bauchfreiem Top … Auch sonst waren sie locker, die Spanier. Den dicken Schweineschinken und mehrere Flaschen Wein hatten sie sich wohl von zuhause mitgebracht.
Zum Ende des Tages zieht Rainer dann noch ein paar Franzosen aus einer Düne, die sich dort mit ihrem Jeep festgefahren haben. Wie es der Zufall will, sind sie Champagner- und Portweinhersteller und haben reichlich davon mitgebracht. Beim nächtlichen Gelage, zu dem wir prompt eingeladen werden, und bei dem Hannes und Rainer standfest mithalten, wird zu fortgeschrittener Stunde auch Hochprozentiges aus Kanistern und Motorölflaschen ausgeschenkt. Der marokkanische Guide bechert kräftig mit.